Ostermontag, der Tag nach der Osterfreude, lädt uns ein zum Innehalten. Wir können einen Schritt zurücktreten und uns noch einmal besinnen. Was ist eigentlich geschehen, damals am Ostermorgen? Betrachten wir dabei den auferstandenen Christus, der hoch über unserem Altar steht. Er thront über allem; die goldene Farbe dient dazu, seine Herrlichkeit und seine Macht hervorzuheben. Er trägt einen Strahlenkranz über dem Kopf und hält den Abendmahlskelch in der Hand. Je länger ich ihn betrachte, desto mehr wird mir deutlich, dass es hier um etwas Größeres geht, als um die historischen Umstände einer längst vergangenen Geschichte. Dieser Christus macht offenbar, dass das Leben ein Geheimnis in sich trägt. Ein Geheimnis, das uns ins Staunen bringt. Deshalb gehören zum Osterfest auch die großen Geschichten des Lebens, wie sie die Bibel erzählt. In der Osternacht wird auch der Schöpfungsbericht oder die Geschichte von der großen Sintflut gelesen. Der Bogen wird weit gespannt bis an den Anfang der Zeit und Schöpfung, damit dieses Staunen darüber wieder in uns wach wird: darüber, dass überhaupt etwas IST und nicht NICHTS.
Die Sonne und die Sterne, die Tage und die Nächte, die Pflanzen und die Tiere, wir selbst, unser Herzschlag, unser Atem, und das große Wunder, dass wir uns all dessen bewusst sind. Dass es das gibt! Jesus Christus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten. In wenigen Worten fasste die frühe Kirche die unglaubliche Botschaft zusammen. Aber wer das Staunen wiedergewonnen hat, dass aus dem Nichts eine Welt wurde, aus dem Chaos ein lebensfreundlicher Ort, aus der Zerstörung neues Beginnen, für den ist die Botschaft von Ostern nicht so fern. Denn warum sollte Gott seine Geschichte des Lebens nicht weiterschreiben können? Hinein in unbekannte Räume und Welten? In Jesus Christus wird die Tür dazu geöffnet. Durch ihn wird offenbar, dass das Leben und unser Sterben noch ein Geheimnis tragen, das weit über alles hinausgeht, was wir denken können. Es wird der Blick auf eine Welt geöffnet, in der der Schmerz überwunden, in der die Tränen getrocknet, die Wunden geheilt, der Streit versöhnt sein werden.
Und wenn wir vielleicht noch nicht glauben können, sollten wir doch staunen darüber, was es bedeuten könnte: Ja, wenn das wahr ist, dann trägt auch unser Leben ein Geheimnis Gottes in sich. Dann trägt auch unser Sterben ein Geheimnis des Lebens in sich. Dann sind wir keine Laune der Natur, die irgendwann verschwindet. Dann gehen wir durch alle Krisen, durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Abschiede und Verluste und durch das Sterben selbst hindurch auf etwas Neues zu. Vielleicht können wir das jetzt noch nicht wirklich fassen. Unser Verstand und unser Blick sind auf den Alltag und die Normalität eingestellt. Auch die Frauen, die im frühen Morgengrauen zum Grab kamen, konnten nicht fassen, was der Engel am Grab ihnen sagte: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“ Erst als der Auferstandene ihnen begegnet, dämmert es ihnen nach und nach. Der Auferstandene aber sagt den Frauen: „Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen. Dort werden sie mich sehen.“ Galiläa war nicht irgendein Ort. Galiläa war ihre Heimat. Die Jünger sollen also zu den Orten zurückkehren, wo sie zuhause sind, zu den Plätzen ihres alltäglichen Lebens. Das gilt auch für uns. Denn auch wir hören die österliche Botschaft, aber wirklich wahr wird sie für uns erst dann, wenn wir wieder zurückkehren, dorthin, wo wir unser Leben leben. Die Verheißung ist, dass uns dort der Auferstandene begegnen wird.
Vielleicht können wir es nicht immer spüren, doch der Lebendige geht längst an unserer Seite. Jeden Tag schenkt er uns Impulse des Lebens und sucht unseren Blick. Wir erfahren ihn, wenn wir unserem Zweifel nicht mehr glauben als unserer Sehnsucht. Wir fühlen seine Energie, wenn wir nach Tagen der Niedergeschlagenheit wieder die Kraft finden aufzustehen. Wir hören seine Lebensweisung, wenn uns klar wird, wie wir mit unseren Gaben dem Leben dienen können. Sein Erbarmen hat unser Herz umfangen, wenn wir wieder vergeben können und die Verbitterung schwächer wird. Wir schauen ihn im Angesicht eines Sterbenden, wenn dessen Würde und Glanz vom Licht der neuen Welt Gottes erzählen. Wir spüren ihn, wenn wir uns im Spiegel anschauen und uns als Sohn, als Tochter Gottes erkennen. Er ist unserem Geiste nah, wenn wir uns zaghaft öffnen für die Worte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Er hat uns berührt im Wasser der Taufe und in der segnenden Hand, die auf uns ruhte.
So ist er unter uns lebendig. So wirkt er, was zum Leben hilft. Heilt, verbindet, versöhnt uns mit uns selbst und mit unserem Leben. Er will, dass unsere Geschichte nicht eine Geschichte des Todes bleibt, sondern er will mit uns die Geschichte des Lebens in dieser Welt weitererzählen. Denn die Geschichte des Todes Jesu, die Gott zu einer Geschichte des Lebens umgeschrieben hat, sie soll fortgeschrieben werden auch durch uns. Gott hat sein Ja zu uns gesagt. Dieses Ja ist so wirklich, wie das Leben selbst. So wirklich, wie die Menschen an unserer Seite, wie die Liebe, die uns verbindet, so wirklich, wie das Brot des Mahles, das wir essen und der Wein, den wir trinken.
Das war der letzte Impuls unserer Reihe zur Osterzeit. Wir hoffen, dass es Ihnen gefallen hat!
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Sabine Krüger